Straf(rechts)theorien
Was ist der Zweck des Strafrechts / der Strafe?
Der Zweck des Strafrechts ist umstritten. Klar ist aber, dass es einer besonderen Legitimation bedarf, da mit der Verhängung einer Strafe in die Rechtsgüter – beispielsweise die Freiheit oder das Vermögen – einer Person, die schuldhaft eine Strafe verübt hat, eingegriffen wird.
Diese Frage nach der Legitimation / Rechtfertigung der Strafe versuchen die verschiedenen Straftheorien beziehungsweise Legitimationsmodelle zu beantworten, indem sie aufzeigen, welchen Sinn und Zweck die Strafe verfolgt.
Welche Straftheorien gibt es?
Grundsätzlich wird zwischen drei verschiedenen Straftheorien unterschieden:
- Die absoluten Straftheorien wollen das begangene Unrecht ausgleichen und verfolgen dementsprechend Vergeltung beziehungsweise einen gerechten Schuldausgleich.
- Die relativen Straftheorien wollen demgegenüber zukünftige Straftaten verhindern und dienen folglich der Prävention beziehungsweise dem Schutz der Gesellschaft.
- Die Vereinigungstheorien kombinieren Elemente der absoluten und relativen Straftheorien und damit mehrere Strafzwecke miteinander. Sie sehen demnach Vergeltung und Prävention nicht als unvereinbare Gegensätze an, sondern versuchen bestimmte Teilaspekte herauszufiltern und die verschiedenen Begründungsansätze zu verbinden.
Welchen Zweck verfolgen die absoluten Straftheorien?
Absolute Straftheorien sind der Auffassung, dass die Strafe dem Schuldausgleich und der Wiederherstellung der Gerechtigkeit dient. Durch die Strafe soll lediglich das Unrecht, welches der Täter schuldhaft begangen hat, gerecht ausgeglichen werden. Ein Täter wird somit bestraft, weil er eine Tat begangen hat. Demnach ist die Strafe sowohl vergangenheitsorientiert als auch absolut – das heisst losgelöst von irgendwelchen Zwecküberlegungen.
Welche Zwecke verfolgen die relativen Straftheorien?
Relative Straftheorien sehen den Zweck des Strafrechts im Rechtsgüterschutz. Bestraft wird, um künftige Straftaten zu verhindern. Mittels Bestrafung soll folglich Verbrechensprävention geleistet werden. Die Strafe ist zukunftsorientiert und verfolgt einen ganz bestimmten Zweck.
Die relativen Straftheorien werden in die General- und Spezialprävention unterschieden:
- Die Generalprävention zielt auf den Schutz der Allgemeinheit ab. Bestraft wird zur Normstabilisierung der Gemeinschaft. Eine Strafe ist folglich dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, eine Vielzahl von Personen davon abzuhalten, straffällig zu werden.
- Bei der Spezialprävention steht dagegen nicht die Allgemeinheit, sondern der einzelne Täter im Vordergrund. Durch die Strafe soll er davon abgehalten werden, erneut eine Straftat zu begehen.
Sodann lassen sich die General- und Spezialprävention weiter unterteilen:
- Bei der negativen Generalprävention dient die Strafe zur Abschreckung der Gesellschaft von der Begehung einer Straftat. Entsprechend sollen alle Mitglieder der Rechtsgemeinschaft durch die Strafe davon abgehalten werden, ähnliche Delikte zu begehen.
- Das Ziel der positiven Generalprävention besteht in der Förderung von Normgehorsam und Normbewusstsein sowie Vertrauen in die Rechtsordnung. Bestraft wird folglich, damit die Allgemeinheit sieht, dass sich das rechtstreue Verhalten lohnt, weil es für den, der sich nicht an die Rechtsordnung hält, strafrechtliche Sanktionen gibt.
- Die negative Spezialprävention begründet die Strafe mit der Abschreckung des bereits straffällig gewordenen Täters, nochmals straffällig zu werden. Durch eine unangenehme Sanktion soll der Täter davon abgehalten werden, erneut eine Straftat zu begehen.
- Ziel der positiven Spezialprävention ist die Resozialisierung des bereits straffällig gewordenen Täters. Dies bedeutet, dass die Strafe bezwecken soll, den Täter zu bessern und wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
Was ist unter den Vereinigungstheorien zu verstehen?
Die Vereinigungstheorien wählen bestimmte Teilaspekte der verschiedenen Straftheorien aus und kombinieren diese unterschiedlichen Begründungsansätze beziehungsweise Strafzwecke miteinander. Die einzelnen Straftheorien werden somit vereinigt.
Eine Vermischung der einzelnen Straftheorien ist dabei auf verschiedene Arten möglich:
- Einerseits gibt es die präventive Vereinigungstheorie, welche versucht, die unterschiedlichen relativen Straftheorien und damit Gesichtspunkte der General- und Spezialprävention miteinander zu verbinden. Hierbei wird der Vergeltungsgedanke als Strafzweck abgelehnt und die Strafe allein mit der Verbrechensverhütung beziehungsweise dem Rechtsgüterschutz gerechtfertigt.
- Anderseits gibt es die vergeltende Vereinigungstheorie, die sich bemüht, absolute und relative Straftheorien miteinander zu verknüpfen. Vergeltung und Prävention schliessen sich somit nicht aus, sondern ergänzen sich auf sinnvolle Weise.
Welcher Straftheorie folgt das Bundesgericht?
Das Bundesgericht folgt einer spezialpräventiv orientierten Vereinigungstheorie: Die Strafzwecke sind gegeneinander abzuwägen und in eine Rangfolge zu bringen, wobei dem Anliegen der Spezialprävention grundsätzlich ein Vorrang zukommt. Dabei dient das Strafrecht primär nicht der Vergeltung, sondern der Verbrechenshütung. Folglich anerkennt das Bundesgericht neben dem Strafzweck der Prävention, der im Vordergrund steht, auch den Vergeltungsgedanken. Dieser besagt jedoch lediglich, dass die Strafe der Grösse der Schuld entsprechen soll. Über diese begrenzende Funktion hinaus kommt ihm keine weitere Bedeutung zu – weder bei der Strafzumessung noch beim Vollzug.
Kurzum: Die Strafe ist dem Wesen nach Vergeltung, dient jedoch der Spezial- und Generalprävention.